Montag, 27. August 2012

Das darf doch nicht wahr sein!

Wie meine Leser wissen, bin ich nicht immer mit Alan Posener d'accord.  Nun ist es geschehen, dass er zum dritten Mal binnen kurzem einen Artikel veröffentlicht, den wir ausgesprochen billigen.

Unter der Überschrift Ein Prinz ist ein Prinz, kein Spießer-König geht es zur Sache:

Was soll eigentlich die Aufregung über Prinz Harry? Strip-Billard zu spielen ist doch eine eher lässliche Sünde. Da haben sich Mitglieder der königlichen Familie ganz andere Dinge zuschulden kommen lassen. Fragen Sie mal Lady Dianas Reitlehrer. Sich dabei fotografieren lassen ist zwar dumm, aber Intelligenz ist keine Voraussetzung für den Beruf. Im Gegenteil, sie ist eher hinderlich.

Ein Royal zu sein ist vermutlich die entsetzlichste Existenz, die man sich in Europa diesseits des Gulags vorstellen kann, auch wenn der Käfig, in den diese bemitleidenswerten Menschen eingesperrt sind, vergoldet ist. Da sei ihnen doch wenigstens der Spaß gegönnt.
Stimmt! Und was die Fehltritte der übrigen Familienmitglieder anbelangt: Da brauchen wir garnicht auf die Königin der Spießer Herzen, die für unsere Sünden gestorben ist, zurückzugreifen. In der vorherigen Generation hat Prinzessin Margret es ganz schön krachen lassen, und was die Generation davor anbelangt... die Verderbtheit des Kurzzeit-Königs und seiner Gattin ("The woman I love") war so extraordinär, dass gegen sie selbst She-who-Di-ed-for-our-sins noch als Klosterschülerin 'rüberkommt, von Charles, Anne oder Andrew gar nicht zu reden und Edward zählt nicht.
Fette Autos, luxuriöse Yachten

Vermutlich gibt es Leute, die den Royals ihr Leben neiden. Klar, die Mitglieder der königlichen Familie haben dicke Apanagen, wohnen in Palästen, fahren fette Autos, dürfen sich schick anziehen (und gelegentlich ausziehen), treiben sich an exklusiven Stränden, in luxuriösen Yachten, angesagten Clubs und superteueren Restaurants herum.

Alle Leute sagen "Ihre Majestät" zu ihnen (außer im Bett, beim Strip-Billard und ähnlichen Vergnügen) und halten ihnen die Türen auf. Toll. Dafür müssen sie sich eingestehen, dass ihr einziger Lebenszeck darin besteht, da zu sein. Genauer gesagt. Für andere da zu sein.

Harry zum Beispiel ist nur da, weil sein Vater als Thronfolger seinerseits "an heir and a spare" produzieren musste – einen Thronfolger und einen Ersatz. Das ist Harry. Ersatzthronfolger für den Fall, dass William stirbt, bevor er seinerseits ein Kind zeugt. Oder zusammen mit dem Kind stirbt. Oder zusammen mit dem Erben und dem Ersatzerben stirbt. Harry führt eine Ersatzexistenz. Er darf nichts aus sich machen.
Richtig! Wobei selbstverständlich nur der Monarch, und nicht andere Mitglieder der Königlichen Familie, ein Recht auf die Anrede "Your Majesty"  hat, aber sicher haben sich inzwischen schon Dutzende von Klugscheißern bei dem Autor, der das eh von Anfang an wusste, gemeldet.
Soldat darf er werden

Würde er Geschäfte machen, hieße es, er nutze seine Stellung aus. Fragen Sie Prinz Andrew. Würde er etwas studieren, hieße es, er sei zu intellektuell, um eines Tages auch der König der Fußballprolls und Sozialhilfeempfänger zu sein, die mittlerweile die Mehrheit der autochtonen Bevölkerung ausmachen. Soldat darf er werden, aber richtig sterben darf er auch nicht.

Sollte Harry jemals König werden, würde seine Aufgabe darin bestehen, Altersheime, Krankenhäuser, Museen und Autobahnabschnitte zu eröffnen, Diplomaten und Debütanten die Hand zu schütteln, bei der Parlamentseröffnung Reden zu verlesen, die die jeweiligen Premierminister für ihn schreiben, zu nichts eine Meinung zu äußern und zu allem ein Lächeln aufzusetzen, bis er stirbt und in der königlichen Gruft beigesetzt wird. Und natürlich seinerseits einen Erben und einen Ersatzerben zu zeugen. Ein solches Leben kann man mit allen Privilegien der Welt nicht aufwiegen. Geld, Alkohol, Koks, Sex, Strip-Billard – also bitte sehr.
So ist es!
Ein Schuft, wer Böses dabei denkt

Im Übrigen ist der britische König – und wie gesagt, jeder Prinz ist nur ein Prinz, weil er ein potenzieller König ist – nicht König der Spießer. Könige gab’s in England, da hatten die Protestanten das Spießertum noch gar nicht erfunden. Das Motto des englischen Königshauses heißt seit 1348 "honi soit qui mal y pense" – ein Schuft, wer Böses dabei denkt.

Mit diesem Spruch schuf Eduard III den Orden, den man in Deutschland den Hosenbandorden nennt, der aber in Wirklichkeit Strumpfbandorden heißt – benannt nach den Strumpfhaltern einer Hofdame, die Eduard vor den versammelten tuschelnden Hofschranzen zurecht rückte. Die Mitgliedschaft in diesem Orden ist die höchste Auszeichnung, die das Staatsoberhaupt zu vergeben hat.

Eduards Vorgänger Eduard II. trieb sich gern nackt mit seinen schwulen Freunden herum. Gut, dafür wurde er abgesetzt und durch Einführung eines glühenden Eisens in den Anus getötet, aber abgesetzt und ermordet werden waren früher halt Berufsrisiken. Heute ist das Berufsrisiko ein Foto in der "Sun". Pfff. Heinrich VIII. hatte sechs Frauen und ließ die meisten davon hinrichten.
Vielleicht nicht die meisten, aber wir sind keine Korinthenkacker!
Royals sind nicht wie du und ich

Dafür gründete er die Nationalkirche. Jakob I. war Schotte. Dafür förderte er Shakespeare. Charles I. wurde geköpft. Dafür starb er in Würde. Charles II. verwandelte den Hof in ein besseres Bordell. Dafür wurde er abgesetzt. Georg III. war verrückt. Dafür … na, egal.

Victoria war zwar Königin der Spießer, daher die Bezeichnung viktorianisch, aber das war sie aus freien Stücken. Schon ihr Nachfolger Eduard VII war so dekadent, dass ein ganzes dekadentes Zeitalter nach ihm benannt wurde. Kurzum, Royals sind nicht wie du und ich, und das ist auch gut so.
So ist es, und außerdem lebt ein ganzer Wirtschaftszweig, die Regenbogenpresse, in England "Yellow Press" genannt, davon.
Scheinheilige Diskussion

Und was die ganze scheinheilige Diskussion in der britischen Boulevardpresse angeht, ob man denn die Fotos zeigen dürfe oder nicht – ob Rücksicht auf die Ehre des Ersatzkronprinzen oder das "Recht des Zeitungslesers auf Information" (als ob dieses Recht jemals die "Sun" oder ihre Leser interessiert hätte!) wichtiger seien: Die Redakteure des Boulevardblatts werden ungefähr so lange gezögert haben, bis die Computer mit der Berechnung der Auflagensteigerung fertig waren, also 0,0001 Sekunden. Seit Majestätsbeleidigung nicht mehr mit Köpfen geahndet wird, ist es ohnehin klar, wie solche Gewissenskonflikte ausgehen. Andererseits hat jede Nation die Presse, die sie verdient.

Wir Briten waren immer schon eine Ausnahme in Europa: Etwas lauter, etwas prolliger, etwas antiautoritärer, etwas … anderes halt. Prinz Harry hat – nicht zum ersten Mal – gezeigt, dass er einer von uns ist. Übrigens sieht er nackt ganz gut aus. Kommt wahrscheinlich von seinem Vater. (Nein, nicht Charles. Lesen Sie denn keine Boulevardblätter?) Er hat das Zeug zum König. Schade, dass der Langweiler William vor ihm dran ist. Anderseits. Ein König darf auch ein Langweiler sein. Ein König darf sich alles erlauben. Das ist das einzig Schöne an dem miesen Job.
Auch hier stimmen wir im Großen und Ganzen zu, erlauben uns jedoch einige kritische Anmerkungen.

Ist Harry wirklich ein Sohn des "Reitlehrers" (i.e. Captain James Hewitt)? 



Mit Verlaub, der  Reitlehrer sieht, um ein Bild aus der Tierwelt zu zitieren, wie ein Rehbock aus, Harrys fieser Onkel Spencer wie ein Red Angus Bulle, und je älter Harry wird, desto mehr gleicht er dem Zweiten.

Was viel mehr gegen eine Vaterschaft Charles' spricht, ist das Fehlen des typischen (wie man in Bayern sagen würde) Gefress, das die Windsors aus- oder besser kennzeichnet. Anders als sein Bruder William (und überhaupt als ALLE Windsors -- schauen sie sich 'mal die greißlichen Töchter von seinem Onkel Andrew an) ist Harry oberkiefermäßig nicht überproportional ausgestattet.

Was auch immer. . . Wir mögen den Kerl!